Genesis – The Lamb Lies Down on Broadway (Dolby Atmos)


Erscheinungsjahr 1974 | Blu-ray / Streaming | Progressive Rock

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Am 26. September erschien – fast ein Jahr verspätet – zum 50. Jubiläum die Deluxe Edition von THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY von Genesis. Abgesehen vom von der Band ungeliebten Debütalbum, das vor zehn Jahren in einem Boxset veröffentlicht wurde, ist es das erste Mal überhaupt, dass ein Album von Genesis als Deluxe Edition vorliegt. Umso überraschender ist es, dass die Wahl auf THE LAMB fiel und nicht auf einen der späteren Millionenseller wie INVISIBLE TOUCH oder WE CAN’T DANCE.

Innerhalb der Band gehörte THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY nie zu den Lieblingswerken. Zu langwierig und kompliziert war die Entstehungsgeschichte. Steve Hackett bemerkte sogar, das Album sei nicht mit ihm, sondern trotz ihm entstanden, da er sich zu wenig eingebracht habe. Allenfalls Peter Gabriel dürfte diesem Werk einen besonders hohen Stellenwert beimessen. Er war vermutlich auch der Hauptinitiator, der dafür sorgte, dass nun ein Dolby-Atmos-Mix entstand – erstellt in Gabriels Real World Studios von Bob Mackenzie, unter Beobachtung von Gabriel und Tony Banks, der bereits vor rund 20 Jahren Nick Davis beim Erstellen der 5.1-Mixe über die Schulter geschaut hatte.

The Lamb Lies Down On Broadway Deluxe Edition

Kommerziell war das Album seinerzeit kein durchschlagender Erfolg: In Großbritannien erreichte es lediglich Platz 10, während der Vorgänger SELLING ENGLAND BY THE POUND im Vorjahr überraschend bis auf Platz 3 klettern konnte. Heute jedoch besitzt THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY innerhalb der Bandhistorie einen extrem hohen Stellenwert. Es war das letzte Album mit Peter Gabriel, ein langes Doppelalbum, das sich deutlich von früheren und späteren Arbeiten unterschied – und dazu ein Konzeptalbum mit einer Geschichte, die selbst von Bandmitgliedern kaum verstanden wurde (Phil Collins: „Fragen Sie Peter, ich bin nur der Drummer…“).

Mike Rutherford sagte einmal in einem Interview, Genesis hätten eigentlich kein definitives Album, kein Hauptwerk wie Pink Floyd mit THE DARK SIDE OF THE MOON. Rückblickend muss man feststellen, dass Genesis sehr wohl ein solches Werk haben – eines, das selbst Rockfans, die mit Genesis sonst wenig anfangen können, zumindest dem Namen nach kennen: THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY.

Die Deluxe Edition erschien in zwei Fassungen: einmal als Set mit 4 CDs und einer Blu-ray, sowie als Vinyl-Ausgabe mit 5 LPs und Blu-ray. Enthalten ist das reguläre Album in Stereo als Remaster des Originalmixes, nicht im Nick-Davis-Remix von 2007. Außerdem liegt die Liveaufnahme aus dem Shrine Auditorium in Los Angeles bei, die am 24. Januar 1975 entstand. Dieses Konzert wurde bereits 1998 im Archive-Boxset veröffentlicht; Teile von Leadgesang und Leadgitarre waren damals neu eingespielt worden und sind auch hier weiterhin enthalten. Neu hinzugekommen sind die beiden Zugaben Watcher of the Skies und The Musical Box, die von Stephen W Tayler gemischt wurden. Außerdem gibt es ein dickes Begleitbuch mit vielen Fotos, die mir noch nicht bekannt waren.

The Lamb Lies Down On Broadway Dolby Atmos


Tracklist:

1 The Lamb Lies Down on Broadway – 4:54
2 Fly on a Windshield – 2:45
3 Broadway Melody of 1974 – 2:11
4 Cuckoo Cocoon – 2:13
5 In the Cage – 8:12
6 The Grand Parade of Lifeless Packaging – 2:46
7 Back in N.Y.C. – 5:39
8 Hairless Heart – 2:10
9 Counting Out Time – 3:41
10 Carpet Crawlers – 5:16
11 The Chamber of 32 Doors – 5:45
12 Lilywhite Lilith – 2:49
13 The Waiting Room – 5:17
14 Anyway – 3:17
15 Here Comes the Supernatural Anaesthetist – 2:49
16 The Lamia – 6:58
17 Silent Sorrow in Empty Boats – 3:01
18 The Colony of Slippermen 8:12
a. The Arrival
b. A Visit to the Doktor
c. The Raven
19 Ravine – 2:06
20 The Light Dies Down on Broadway – 3:32
21 Riding the Scree – 4:07
22 In the Rapids – 2:22
23 it – 4:19

Gesamtdauer: 94:15


Die Musik:

THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY passt musikalisch eigentlich gar nicht so recht in die Diskographie von Genesis. Der Nachfolger A TRICK OF THE TAIL, bei dem Schlagzeuger Phil Collins den Gesang übernahm, steht klanglich deutlich näher am Vorgänger SELLING ENGLAND BY THE POUND. Diese beiden Alben, die THE LAMB wie Klammern umfassen, wirken warm, romantisch und sehr britisch. THE LAMB dagegen klingt kühl, düster, geheimnisvoll und spröde. Anders als bei den übrigen Genesis-Alben dieser Zeit gibt es hier kaum lange Stücke, stattdessen überwiegend Songs von oft unter vier Minuten Länge. Fast alle Titel gehen ineinander über, und wiederkehrende Themen unterstreichen den Konzeptcharakter. Ergänzt wird dies durch fragile instrumentale Zwischenspiele, die den Hörer in die bizarre Welt hineinziehen, die Peter Gabriel textlich entworfen hat.

All das macht THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY nicht unbedingt zu einem leicht konsumierbaren Werk. Bei mir hat es fast zehn Jahre gedauert, bis ich das Album verstanden habe – die Musik, nicht die Geschichte. Heute jedoch gilt THE LAMB als Klassiker des Progressive Rock, ein Werk, das in dieser Form von keiner anderen Band wiederholt werden konnte.

Wertung: 100 %


Besetzung:

Peter Gabriel – lead vocals, flute,
Steve Hackett – acoustic and electric guitars
Mike Rutherford – bass guitar, 12-string guitar
Tony Banks – Organ, E-Piano, Harpsichord, Mellotron, ARP Pro Soloist synthesizer, String Synthesizer, Piano
Phil Collins – Drums, Percussion, Vibraphone, backing vocals

Brian Eno – Enossification (vocal treatments)


Der Surroundmix:

Ich hatte den Dolby-Atmos-Mix noch nicht gehört, als ich im Internet die ersten Eindrücke las. Die Meinungen fielen extrem aus: Entweder man hasste den Mix und bedauerte, dass nicht Steven Wilson diesen neuen Mix erstellt hat, oder man war begeistert und sprach davon, das Album völlig neu zu hören – fast so, als würde man es zum ersten Mal erleben. Gut, dachte ich, so sind die Fans: Den einen kann man es nie recht machen, die anderen feiern alles ab, was ihre Lieblingsband veröffentlicht. Nachdem ich den Mix zum ersten Mal komplett durchgehört hatte, war auch ich zwiegespalten und wusste nicht recht, wie ich ihn einordnen sollte. Inzwischen habe ich das Album mehrfach in Atmos gehört und bin zu einem klareren Urteil gelangt.

Es stimmt: Der Atmos-Mix lässt THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY in einem völlig neuen Licht erscheinen. Man hat sich hier deutlich vom Ansatz gelöst, möglichst nah am Original zu bleiben – so wie es ein Steven Wilson tun würde. Man muss sich darauf einlassen: In Atmos wirkt THE LAMB wie ein alternatives Album.

The Lamb Lies Down On Broadway Deluxe Edition

Schon der Surroundmix von Nick Davis war dem alten Stereomix überlegen, weil er das Lamm von Staub befreite. Doch auch er blieb noch relativ nah am Original, was bedeutete, dass die Musik weiterhin wie eine „Wall of Sound“ wirkte, in der die Instrumente nicht immer klar unterscheidbar waren. Im Atmos-Mix ist das anders: Hier kann man nahezu jeden Ton heraushören. Dadurch wurde das Album allerdings auch ein Stück weit entmystifiziert.

Es gibt viele neue Details zu entdecken, die vorher kaum hörbar waren oder damals bewusst aus dem Mix entfernt wurden – manchmal wohl mit gutem Grund. Bei Carpet Crawlers etwa treten zusätzliche Gitarren hervor, die das Stück zunächst ein wenig unrund wirken lassen. Auch einige neue Vocal-Parts drängen sich stärker in den Vordergrund, was die Musik stellenweise etwas überproduziert erscheinen lässt. Überhaupt fällt erst jetzt auf, wie oft Peter Gabriel seinen Gesang gedoppelt hat.

Bemerkenswert ist auch, dass Phil Collins und Steve Hackett im Mix deutlich mehr Präsenz erhalten. Also genau die beiden Bandmitglieder, die nicht wie die anderen vom Charterhouse-Internat kamen und es in den frühen Jahren schwer hatten, sich durchzusetzen. Im Atmos-Mix wird erst richtig deutlich, was für ein begnadeter Schlagzeuger Collins damals war – man hört jede Nuance seines Spiels. Auch Hackett ist noch einmal präsenter geworden als im 5.1-Mix von Nick Davis: Das Album wirkt nun insgesamt gitarrenlastiger. Seine Aussage, das Album sei „trotz ihm“ entstanden, wirkt angesichts der neuen Abmischung fast überholt, denn einige Gitarrenparts treten nun stärker hervor als bisher.

The Lamb Lies Down On Broadway Dolby Atmos

Die Verteilung der Klänge im Raum ist überaus immersiv. Sowohl Rears als auch Höhenkanäle werden konsequent eingesetzt. Rhythmusgitarren und Keyboards erklingen häufig von hinten, während Leadgitarren und einige von Tony Banks’ Leadsounds über dem Hörplatz schweben. Percussion und Hintergrundgesang variieren zwischen hinterem und oberem Raum. Vor allem in den instrumentalen Passagen hatte ich den Eindruck, dass die Deckenkanäle bis an ihr Maximum gefordert werden.

Auffällig ist zudem, dass Bob Mackenzie dem Mix einen sehr weiten Raum gegeben hat. Oft hatte ich das Gefühl, Musik auch dort zu hören, wo mein Hörraum physisch schon zu Ende ist. Besonders seitlich öffnet sich ein breites Panorama. Mit geschlossenen Augen war es kaum möglich, die Lautsprecher exakt zu lokalisieren – genau so sollte Atmos klingen.

Absolute Highlights sind für mich Hairless Heart, The Waiting Room und The Colony of Slippermen. Bei Hairless Heart schwebt Hacketts E-Gitarre über der Decke – ein magischer Moment. Später löst sich sogar das Schlagzeug vom Boden und dreht eine Runde durchs Zimmer. Beim ersten Hören mag das effekthascherisch wirken, letztlich ist es aber ein faszinierender Einfall. The Waiting Room wiederum ist ein Erlebnis für sich – was hier im Raum passiert, lässt sich kaum in Worte fassen. Man fühlt sich unmittelbar in diese bizarre Klangwelt versetzt. Gleiches gilt für The Colony of Slippermen, ein Stück, das mir eigentlich nie besonders lag, das hier aber durch seine Verspieltheit und die vielen neuen Details begeistert.

The Lamb Lies Down On Broadway Dolby Atmos

All das klingt nach einem perfekten Mix – und doch gibt es Kritikpunkte. Schon beim Titeltrack empfand ich das Schlagzeug als zu höhenlastig, ein Problem, das im weiteren Verlauf des Albums nicht mehr auftritt. Auch die neuen Vocaleffekte beim Ausruf „I’m Rael“, die quer durch den Raum fliegen, wirken übertrieben. Generell gibt es viele Bewegungen im Raum: Schlagzeug, Gitarren, Keyboards, Bass und Percussion wandern immer wieder umher. Manchmal subtil, manchmal stärker. Gelegentlich lenkt es jedoch etwas von der Musik ab. Solche Spielereien machen in Atmos bei elektronischer Musik mehr Sinn.

Dazu kommen Änderungen, die eher fragwürdig erscheinen. Nicht nur neue Details treten hervor, auch Vertrautes fehlt oder ist deutlich abgeschwächt. Bei Fly on the Windshield etwa ist das Gitarrensolo viel zu leise, bei Back in N.Y.C. kommt der später einsetzende Sägezahnsound kaum zur Geltung. Die größten Abweichungen betreffen Counting Out Time und The Chamber of 32 Doors. Bei ersterem werden die wilden Stimmkaskaden am Ende abrupt ausgeblendet – das wirkt fast dilettantisch. The Chamber hat sich fast zu einer Coverversion gewandelt: Im Refrain ist Phil Collins’ Zweitstimme lauter als Gabriels Leadgesang. Da Collins eine leicht abweichende Linie singt, verändert sich die Melodie erheblich. Zwar verstehe ich, dass man seine schöne Gesangslinie hervorheben wollte, doch wäre ein dezenteres Vorgehen hier wohl besser gewesen. Hier trug Peter Gabriel bei der Endabnahme wohl sein „Less-Me“-T-Shirt…

Insgesamt ist der Atmos-Mix von THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY außergewöhnlich gut gewordem. Wie eingangs erwähnt, muss man sich darauf einlassen, dass das Album nun etwas anders klingt. Wer das akzeptiert, wird an dem neuen Mix seine Freude haben.

Wertung: 97 %


Vorhandene Tonformate:
Dolby Atmos
LPCM 2.0 (1974er-Mix)

Album starten:

Das ist schlicht Perfekt! Wie altmodische Datenträger startet das Album automatisch in Dolby Atmos. Man muss keine Taste drücken und sich durch kein Menü quälen. Warum können das andere nicht?

 


Bonusmaterial:

Es gibt kein Bonusmaterial. Zumindest die Dia-Show der Konzert-Aufführungen als bildliche Untermalung wäre schön gewesen. Vielleicht sollte man bei solchen Deluxe Boxen überlegen, auf der Blu-ray den Atmos-Mix in einer binauralen Abmischung für Kopfhörer beizufügen. Ich habe schon öfters im Netz gelesen, dass Fans den Atmos Mix vom Lamm über Kopfhörer von der Blu-ray hören, weil Atmos ja so ein Kopfhörerding sein soll und sie sich nicht im Klaren darüber sind, dass sie so das Album nur im Stereo-Downmix hören, ohne jegliche Rauminformation. Atmos über Kopfhörer funktioniert bisher nur im Streaming!

 


Anspieltipp:

The Waiting Room, Hairless Heart


Fazit:

Nahezu perfekt! Einige Dinge, die man nicht mehr raushört, fehlen einfach, dazu hat der Titel-Track leichte klangliche Probleme.

Pros / Cons:
+ sehr guter Atmos-Mix
+ High Resolution (+ 1%)
+ Album startet automatisch in Dolby Atmos

 

GESAMTWERTUNG: 99 %

Erläuterungen zur Bewertung

Verfügbarkeit:

Deluxe Edition: Die neue Deluxe Edition, entweder mit CD’s oder LP’s sollte noch erhältlich sein. Die LP-Box ist natürlich hochpreisiger mit etwa 180 Euro. Die CD-Box bekommt man zumeist für unter 100 Euro, die damit jedoch auch etwas hochpreisig ist. Sie hat keine LP-Größe, sondern ist kleiner und ähnelt den Deluxe-Veröffentlichungen von Al Stewart. Diese haben immer um die 70 Euro gekostet.

Stand: 03.10.2025

 


Links:

Offizielle Webseite von Genesis

 

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