Björk – Verspertine
Erscheinungsjahr 2001 | Dual Disc (DVD) | Electronica
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Das vierte Studioalbum VESPERTINE der isländischen Künstlerin Björk erschien am 27. August 2001. Die Arbeiten daran begannen während der Dreharbeiten zu Lars von Triers Film „Dancer In The Dark“, in dem Björk die Hauptrolle spielte und die Songs des als Musical angelegten Films lieferte. Die Arbeiten am Film und die Zusammenarbeit mit dem Regisseur beanspruchten sie bis aufs äußerste, sodass Björk anschließend sagte, dass sie nie wieder was mit dem Filmgeschäft zu tun haben wolle. Sie kehrte nach Hause, erholte sich da und lieferte ihre introvertierteste Platte ab.
Ihr „Homeoffice“ ermöglichte es ihr, Musikstücke zu komponieren, die sich beträchtlich von den letzten Alben unterschieden. Björk nahm verschiedene Haushaltsgeräusche auf, transferierte sie in rhythmische Strukturen und baute anhand dessen die Songs auf. Der Arbeitstitel des Albums hieß daher auch Domestika. Hinzu kam später eine beträchtliche Anzahl an unelektronischen Sounds.
VESPERTINE klingt überaus kalt. Bewusst arrangierte Björk die Songs mit dünnen, eisig klingenden Sounds, da sie der Meinung war, dass im gerade aufkommenden Zeitalter der mp3 diese Sounds sich am Besten komprimieren ließen. Das Album wurde sehr erfolgreich und schaffte es in fast jedem Land in die Top 10. Auch die Kritikerschar war von dem Album sehr angetan. VESPERTINE dürfte das erste Album von Björk sein, welches in Surroundsound abgemischt wurde, da im selben Jahr auch als DVD-Audio erschien. 2004 gab es dann einen Reissue auf SACD. Den meisten dürfte das Album aber als Dual Disc (eine Seite CD, andere Seite DVD) untergekommen sein, welche 2006 veröffentlicht wurde und auch im Boxset SURROUNDED Bestandteil war. Den Mix erstellte Paul „PDubb“ Walton, der auch die anderen Björk-Alben entsprechend abmischte. Ich beziehe mich in dieser Rezension auf die Dual Disc Version.
Tracklist:
1 Hidden Place – 5:30
2 Cocoon – 4:30
3 It’s Not Up to You – 5:10
4 Undo – 5:42
5 Pagan Poetry – 5:16
6 Frosti – 1:42
7 Aurora – 4:42
8 An Echo, A Stain – 3:58
9 Sun in My Mouth – 2:38
10 Heirloom – 5:10
11 Harm of Will – 4:41
12 Unison – 6:50
Gesamtdauer: 55:40
VESPERTINE gilt als Björks bis dahin experimentellstes Album. Interessanterweise finde ich es andererseits auch sehr eingängig. Es hat einen einzigartigen Gesamtsound, den man davor und danach wohl so nicht wieder gehört hat. Auf der einen Seite sind es die vielen kleinen von Björk als Micro-Beats bezeichnenden rhythmischen Spielereien. Es knistert und knattert an allen Stellen und es lässt sich schwer einordnen, welche Geräusche natürlichen Ursprungs sind und welche aus einem Drumcomputer oder Synthesizer kommen.
Auf der anderen Seite gibt es diese dünnen Kling-Klang-Strukturen. Auf dem Album wird auf einigen Stücken eine Celesta gespielt. Das ist eine Art von Klavier, welches einen hellen Glockenspiel-artigen Klang liefert. Zudem ließ Björk eigens für das Album Spieluhren herstellen, die ihre Melodien spielen konnten. Hinzu kamen Einsätze eines Clavichords und einer Harfe. Um den Sound noch opulenter zu machen, wurden Streicher und Chöre hinzugefügt. Man sieht also, dass es vom Instrumentarium meilenweit weg ist vom herkömmlichen „Pop-Sound“.
Das Stück Heirloom scheint da auf den ersten Blick überhaupt nicht reinzupassen, wirkt andererseits auf dem Album keineswegs wie deplatziert. Dieses Stück hat keine akustischen Instrumente, sondern besteht komplett aus einem elektronischen Unterbau. Es ist auch kein Stück, welches Björk im eigentlichen Sinne eingespielt hat. Bei Heirloom handelt es sich um den Song Crabcraft von Console, dem Musikprojekt des bayerischen Klangtüftlers Martin Gretschmann. Crabcraft ist drei Jahre zuvor auf Consoles Album ROCKET IN THE POCKET erschienen. Björk hat hier über einen rein instrumentalen Track lediglich ihren Gesang drüber gelegt. Interessant ist allerdings, das Gretschmann damals auch Mitglied bei The Notwist war, die ich gerne als die deutschen Radiohead bezeichne. The Notwist hat zu der Zeit auch viel mit knisternden und knatternden Sounds und Beats auf ihren Alben SHRINK und NEON GOLDEN experimentiert.
Wertung: 81 %
Besetzung:
Björk – bassline, choir arrangement, harp arrangement, programming, music box arrangement, beat programming, string arrangement, vocals
Jake Davies – programming, beat programming
Damian Taylor – programming, beat programming
Guy Sigsworth – programming, choir arrangement, celeste, clavichord, beat programming
Matthew Herbert – programming
Matmos – programming, beat programming
Vince Mendoza – choir arrangement, orchestration, string arrangement
Thomas Knak – programming
Valgeir Sigurðsson – beat programming, programming
Zeena Parkins – harp, harp arrangement
Caryl Thomas – harp
Jack Perron – adaptation to music box
Marius de Vries – additional programming, beat programming
Martin Gretschmann – programming
Die Surroundmixe der ersten Alben von Björk enthielten Licht und Schatten. DEBUT und POST klangen mitunter recht konservativ und die hinteren Kanäle wurden meist nur für Effekte verwendet. HOMOGENIC ging dann einen großen Schritt in die richtige Richtung. Hier wurde es schon deutlich diskreter. Wie sieht das nun bei VESPERTINE aus?
Startet man das Album, fühlt es sich zunächst wie ein Rückschritt an. Hidden Place und auch Cocoon versprühen zunächst eher wenig Surround-Feeling und es stellt sich etwas Ernüchterung ein. Doch ab It‘s Not Up To You dreht sich das Blatt! Es ist fast so, als wäre da Björk in den Mischraum gekommen, um die Arbeit von Paul „PDubb“ Walton zu inspizieren. Plötzlich kriechen aus allen Richtungen Sounds hervor, dass es eine Freude ist. Mir unerklärlich, warum die ersten beiden Stücke noch sehr dezent in der Verteilung der Spuren im Raum sind.
Ab diesem dritten Stück des Albums erlebt der Fan von Surround Sound durchgehend großes Tennis. Die Micro-Beats sind im gesamten Raum verteilt, sodass immer irgendwo etwas knistert und knattert. Es gibt zudem zahlreiche umherschwirrende Sounds, die sich von vorne nach hinten oder von der einen zur anderen Seite bewegen. Die vielen dünn klingenden Instrumente wie die Celesta, die Musikboxen oder die Harfe werden meist nach hinten gelegt. Meine Vermutung ist, dass man sich hier den Umstand, dass viele Endverbraucher nur kleine Rearlautsprecher haben zunutze machte und weniger Bauchschmerzen bei einer großzügigen Verteilung der Instrumente hatte. Dadurch, dass diese Instrumente eher wenig tiefe Frequenzen haben, würden diese hinten wohl immer einigermaßen gut klingen, auch bei kleinen Lautsprechern.
Die Streicher und Chöre machen den Gesamtsound am Ende noch opulenter, diese legen sich über den gesamten Raum, haben ihren Schwerpunkt aber auch an den Seiten und hinten. Soundtechnisch überzeugt das Album dadurch, dass diese Teppiche niemals die ganzen filigranen Sounds unterdrücken. Es ist immer alles sehr gut heraushörbar, was es zu einem richtig guten Mix macht. Gerade der immer dichter werdende Sound macht das Stück Undo zum großen Highlight in der Abmischung, bei dem man definitiv eine Gänsehaut bekommt. Ein Vorführstück, wenn man zeigen will, was Musik in Surroundsound kann.
Wertung: 97 %
Vorhandene Tonformate:
DTS 5.1 (96 kHz / 24 bit)
Dolby Digital 5.1
Stereo
Nach Erklingen der bekannten Universal Video Fanfare taucht das Menü auf, welches man aber nicht wirklich blind bedienen kann, will man das Album in der besten Soundqualität genießen. Drücken auf Enter (2x) spielt es nur in Dolby Digital ab, man kann anschließend leider nicht per Audiotaste auf DTS umschalten. Will man DTS Sound hören, muss man im Menü einmal die Pfeiltaste nach unten drücken und dann die Entertasten drücken. Weitere Bedienungsfalle: Innerhalb des Albums kann man nicht ohne weiteres zum nächsten Lied skippen. Dafür gibt es je einen Strafpunkt.
Um das Album in DTS zu spielen, gilt: DOWN ENTER ENTER
Abwertung: -2%
Als Bonus finden sich auf der DVD insgesamt 5 Musikvideos, wobei nur Hidden Place, Pagan Poetry und Cocoon Stücke aus dem Album sind. It’s In Our Hands wurde 2002 als Single veröffentlicht und Nature is Ancient ist ein Stück, welches noch aus Homogenic-Zeiten stammt und das Boxset FAMILY TREE promoten sollte. Beide Stücke sind auch in 5.1 zu hören.
Aufwertung: + 1%
Anspieltipp:
Undo, Pagan Poetry
Hier wäre die volle Punktzahl drin gewesen, wären die beiden ersten Stücke auch schon diskret abgemischt worden.
Pros / Cons:
+ sehr guter Klang mit einem sehr guten Surroundmix
+ Musikvideos als Bonus (+ 1%)
– schlechtes DVD-Authoring (- 2%)
GESAMTWERTUNG: 91 %
Erläuterungen zur Bewertung
Dual Disc: Ist leider so gut wie vergriffen, aber mit etwas Glück findet man es für Gebrauchtpreise von ca. 20 Euro.
DVD-Audio und SACD: Diese beiden Ausgaben sind älter und noch schwerer zu bekommen. Gebrauchtpreise liegen so bei 30-50 Euro oder mehr.
Surrounded Box: mit allen 7 Veröffentlichungen von Björk in 5.1. von 1993 bis 2006, gibt es gebraucht für ca 200 Euro.
Stand: 29.06.2022
Links:
Offizielle Webseite von Björk