Tangerine Dream – Phaedra


Erscheinungsjahr 1974 | Blu-ray Disc | Electronic

Springen zu:  Musik  |  Surroundmix  |  Albumstart  |  Bonusmaterial  |  Fazit  |  Verfügbarkeit

Richard Branson, der Gründer von Virgin Records dürfte in seinen Anfangstagen als Plattenboss ein feines Näschen gehabt haben, was das Finden von frischen, neuen Musikdarbietungen angeht. Erst verpflichtete er den jungen Mike Oldfield, der ihn mit Tubular Bells einen Millionenseller bescherte. Kurz darauf erkannte er in der deutschen Elektronik Formation Tangerine Dream die musikalische Richtung, die die Musik in den nächsten Jahrzehnten weitestgehend einschlagen sollte.

Tangerine Dream hatten zuvor auf dem deutschen Ohr-Label ihre ersten vier Langspielplatten veröffentlicht, auf denen sie die sogenannte kosmische Musik darboten: Eher ruhig getragene Klangcollagen, die weitestgehend auf die herkömmlichen Musikformen aus Strophe und Refrain sowie auf handelsübliche Instrumente verzichteten. Der englische Radio DJ John Peel war von dieser neuartigen Musik schwer begeistert und Richard Branson nutzte die Gunst der Stunde und schloss mit den Mannen um Edgar Froese einen Fünfjahresvertrag ab.

Die Band quartierte sich im November 1973 im The Manor, einem Gutshaus in Shipton-on-Cherwell ein, welches mittlerweile ein Tonstudio war. Tubular Bells wurde hier vor kurzem aufgenommen. Tangerine Dream nahmen sich sechs Wochen Zeit für die Aufnahmen. Branson beschaffte den sauteuren modularen Moog Synthesizer, mit dem die Band ein neues Level erreichte. Mit diesem konnten sie rhythmische Basspattern programmieren und so ihrer Musik eine gewisse Struktur verleihen.

Phaedra wurde am 20. Februar 1974 veröffentlicht und war der Beginn der erfolgreichsten Jahre der Band. In sieben Ländern erreichte das Album Goldstatus und kam in UK bis auf Platz 15, ohne dass Musik aus dem Album prominent im Radio gespielt wurde. Alles passierte durch Mund zu Mund Propaganda. In der deutschen Heimat bekam man von dem Exportschlager wenig mit. Hier wurden lediglich 6000 Kopien verkauft. Selbst heute gibt es auf der deutschen Wikipedia Ausgabe keinen Eintrag zu diesem Album, während die englischsprachige Version fast zu jedem Album der Band einen hat.

Den 45. Jahrestag von PHAEDRA feiert man mit der neuen Tangerine Dream Box In Search Of Hades, die alle Virgin-Alben der 70er restauriert enthält. Mehr dazu hier. Von PHAEDRA erstellte Steven Wilson, der ein Großer Fan der Band ist, einen Surround Sound Mix. Ebenfalls in der Box enthalten ist der Surroundmix zum Album Ricochet und dem erstmals veröffentlichten Doppelalbum Oedipus Tyrannus.


Tracklist:

1 Phaedra – 17:39
2 Mysterious Semblance at the Strand of Nightmares – 9:55
3 Movements of a Visionary – 7:56
4 Sequent ‚C‘ – 2:13

Gesamtdauer: 37:33


Die Musik:

Ich weiß noch genau, wie mich diese Musik plötzlich in den Bann zog. Ich hatte die Platte von meiner Schwester irgendwann Mitte der 90er ausgeliehen und sie zunächst für sehr langweilig befunden. Dennoch habe ich sie mir vorübergehend auf Audiokassette überspielt. Eines Abends im Winter fuhr ich mit dem Bus von einem Schulfreund nach Hause, entlang auf Landstraßen durch Wälder und Dörfer. Es schneite heftig, ich saß direkt hinter dem Busfahrer und der Bus bahnte sich seinen Weg durch das von den Scheinwerfern beleuchtete dicke Schneetreiben, bei dem man kaum erkennen konnte, was kurz hinter der Windschutzscheibe war. Währenddessen lief im Walkman die Audiokassette mit dem Phaedra-Album. Es war für diese etwas unheimliche Szenerie (neben mir und dem Busfahrer war sonst keiner im Bus) der perfekte Soundtrack. Es war das vielleicht größte musikalische Erlebnis, das ich hatte und es lag an der Musik und nicht an irgendwelchem Alkohol (war noch zu jung).

Phaedra könnte man als Albtraummusik bezeichnen. Hypnotische, sich ständig wiederholende Bass-Sequenzer sorgen für eine klaustrophobische Grundstimmung. Seltsame Geräusche und Klänge und vor allem ungewöhnliche Harmonien und Melodien auf Orgeln, Mellotrons, Gitarren und Flöten sorgen dafür, dass diese Art von Musik ganz weit weg vom Mainstream ist. Irgendwie ist es fremd, doch andererseits ist auch eine gewisse Nähe zum Progressive Rock vorhanden und wer das Stück On The Run von Pink Floyd kennt und dem Stück viel abgewinnen kann, sollte auf jeden Fall mal in PHAEDRA rein hören. Zudem wird die Musik der Berliner Band aus jenen Tagen oft mit der klassischen Musik verglichen, vor allem zu den Werken von Bach, da auf ähnliche Weise mit Kontrapunkten gespielt wird.

Wertung: 92 %


Besetzung:

 Edgar Froese – mellotron, guitar, bass, VCS 3 synthesizer, organ
Chris Franke – moog synthesizer, VCS 3 synthesizer
Peter Baumann – organ, electric piano, VCS 3 synthesizer, flute


Der Surroundmix:

Die schlechte Nachricht zuerst: Leider ist nur die Hälfte des Albums ein echter Surroundmix. Von Mysterious Semblance at the Strand of Nightmares und Movements of a Visionary wurden keine Masterbänder gefunden, sodass Wilson hier einen Pseudo-Surroundmix mit der Penteo Software erstellt hat. Muss nichts heißen, denn die erstellt richtig gute Surroundmixe aus Stereomaterial, dass es vom echten Surround kaum zu unterscheiden ist.

Betrachten wir zunächst die echten Remixe: Das zentrale Stück des Albums ist das 17 Minuten lange Titelstück. Es fängt ähnlich verwaschen wie die Stereoversion mit einer Menge Hall an, bald aber breitet sich das komplette Panorama aus. Der Mix ist zu Beginn verhältnismäßig leise, steigert sich aber mit zunehmender Dauer in der Lautstärke. Ein toller Effekt, denn man dreht die Lautstärke am Anfang des Albums unweigerlich hoch und wird in den nächsten Minuten sozusagen in eine andere Welt hineingezogen, deren Geräuschvegetation immer dichter und intensiver wird. Anders kann man es nicht erklären. Es prasseln auf den Hörer aus allen Richtungen merkwürdige Geräusche, Akkorde und Melodien ein, sie schwirren an einem vorbei, dass man das Gefühl hat, durch diese Klanglandschaft hindurch zufliegen. Vorne in den Frontlautsprechern pulsieren die hypnotischen Bassläufe, die dem Zuhörer einen Bezugspunkt geben, da man andernfalls vermutlich völlig die Orientierung verlieren würde. Ich muss sagen, dass es vielleicht das Eindrucksvollste ist, was ich an Musik im Surround Sound gehört habe. Natürlich bleibt festzuhalten, dass diese Art von etwas strukturloser Musik im Klangcollagencharakter prädestiniert für solche Spielereien im Raum ist. Mit üblicher Rockmusik könnte man das schwerlich machen, das wäre am Ende doch etwas too much.

Das andere echte Surroundstück, ist das kurze letzte Stück Sequent C. Dieses ist relativ sparsam instrumentiert und eigentlich gar nicht elektronisch. Es besteht lediglich aus mehreren Spuren von Flöten. Auch diese kommen aus allen Ecken und lassen eine sehr mystische Stimmung zurück. Erinnert ein wenig an den leisen Schlussteil von Dancing With the Moonlit Knight von Genesis.

Was ist aber mit den beiden anderen Stücken, von denen lediglich ein Upmix erstellt wurde? Die können leider mit Phaedra und Sequent C nicht ganz mithalten. Die Krux dabei ist, dass es nur an diesen beiden echten Surround-Stücken liegt. Denn würde man Mysterious Semblance at the Strand of Nightmares und Movements of a Visionary ohne direkten Vergleich zu den anderen beiden hören, würde man diese beiden Mixe wieder regelrecht abfeiern. Vor allem Movements hat wieder einige Sounds, die hörbar durch den Raum schweben und man sich fragt, wie man das nur aus einem Stereomix herauslösen kann. Einfach faszinierend! Der Unterschied ist dabei lediglich die Klangqualität. Die echten Surroundmixe klingen luftig und aufgeräumt, während die Upmixe aufgrund der 45 Jahre alten Stereomixe etwas verstaubt klingen.

Wertung: 97 %


Vorhandene Tonformate:
DTS 5.1  96/24
LPCM 96/24 5.1
 

Album starten:

Auf der ersten Blu-ray der Box gibt es zwei Alben in Surround: PHAEDRA und das bisher unveröffentlichte Oedipus Tyrranus. Was PHAEDRA angeht, genügt hier das zweimalige Drücken der Entertaste, um den Mix in DTS zu starten.

 


Bonusmaterial:

Die Box In Search of Hades beinhaltet die Alben der Jahre 1974-1979, Unmengen an nicht veröffentlichtem Material, drei Alben in Surround Sound und zwei längere TV-Sendungen aus den 70ern. Zu PHAEDRA gibt es gleich zwei weitere CDs mit Outtakes aus den Aufnahmewochen. Sehr Hörenswert. Da das alles eine üppige Box ist, ist das strenggenommen kein Bonuscontent zu einem Album in Surround Sound. Aus dem Grund keine Zusatzpunkte.

 


Anspieltipp:

Phaedra


Fazit:

Man sollte auf jeden Fall mal in die Musik reingehört haben. Der Mix ist trotz ca. 50% Upmix Referenz.

Pros / Cons:
+ Fantastischer Surroundmix, der seines Gleichen sucht
+ Selbst die beiden Upmix-Stücke klingen sehr räumlich
+ High Resolution (+1 %)

 

 

GESAMTWERTUNG: 97 %

Erläuterungen zur Bewertung

Verfügbarkeit:

Boxset mit Blu-rays: Die Box in Search of Hades kostet ca. 150 Euro. Ein Preis der mir angemessen erscheint. Steven Wilson empfiehlt ein schnelles Handeln, vermutlich dürfte die Auflage relativ gering sein. Es gibt aber Gerüchte, dass die einzelnen Alben zu einem späteren Zeitpunkt auch als Einzel-Ausgaben erscheinen. Ob da auch der Surroundmix enthalten ist, ist allerdings etwas spekulativ.

Stand: 07.09.2019

 


Links:

Offizielle Seite von Tangerine Dream

 

One Reply to “Tangerine Dream – Phaedra”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert