Esbjörn Svensson Trio – 301
Erscheinungsjahr 2012 | STREAMING | Jazz
Eine Dolby Atmos Streaming Review
Das Esbjörn Svensson Trio (E.S.T.) zählte zu den einflussreichsten europäischen Jazzformationen der letzten Jahrzehnte. Gegründet Anfang der 1990er-Jahre, bestand das Trio aus Esbjörn Svensson am Klavier, Dan Berglund am Kontrabass und Magnus Öström am Schlagzeug. In dieser bis 2008 unveränderten Besetzung entwickelte die Band eine unverwechselbare Klangsprache, die das klassische Jazz-Klaviertrio konsequent weiterdachte und international große Aufmerksamkeit erlangte.
E.S.T. verstand sich bewusst nicht als traditionelles Jazzensemble, sondern als Band, die Jazz mit der Haltung und Energie einer Pop- oder Rockformation spielte. Elektronische Effekte, klare Grooves, repetitive Strukturen und Einflüsse aus Rock, Klassik und zeitgenössischer Popmusik waren integrale Bestandteile ihres Sounds. Spätestens mit dem internationalen Durchbruch Ende der 1990er-Jahre und Alben wie FROM GAGARIN’S POINT OF VIEW oder später VIATICUM prägte das Trio nachhaltig das Bild eines modernen europäischen Jazz.
Das Album 301 nimmt innerhalb der Diskografie eine besondere Stellung ein. Die Aufnahmen entstanden 2007 während einer Tourpause in Sydney, in einer Phase, in der sich die Band auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen und internationalen Anerkennung befand. Ursprünglich als freies, druckloses Studioexperiment gedacht, entwickelte sich die Session zu einem umfangreichen Materialfundus. Einige Monate später kam Esbjörn Svensson im Juni 2008 bei einem tragischen Tauchunfall ums Leben. Mit seinem Tod endete das Esbjörn Svensson Trio abrupt; eine Weiterführung der Band ohne ihn kam für die verbliebenen Mitglieder nie in Frage.
Erst 2011 entschieden sich Dan Berglund und Magnus Öström gemeinsam mit Toningenieur Åke Linton, das verbliebene Material zu sichten und fertigzustellen. Das Ergebnis erschien 2012 unter dem Titel 301, benannt nach dem Studio in Sydney. Das Album bildet damit den Schlusspunkt der Bandgeschichte und dokumentiert zugleich eine Phase, in der E.S.T. musikalisch weiter nach vorn blickte, als es ihr Schicksal zuließ.

Screenshot Apple Music App
Tracklist:
1 Behind the Stars – 3:44
2 Inner City, City Lights – 11:48
3 The Left Lane – 13:37
4 Houston, the 5th – 3:34
5 Three Falling Free, Part I – 5:49
6 Three Falling Free, Part II – 14:30
7 The Childhood Dream – 8:02
Gesamtdauer: 61:04
Unabhängig von der stilistischen Offenheit der Musik zeigt sich 301 auch klanglich deutlich anders als viele andere Jazzproduktionen in Dolby Atmos. Während zahlreiche Jazzaufnahmen im immersiven Format eher zurückhaltend und frontal gemischt sind, verfolgt dieses Album einen deutlich freieren, räumlich aktiveren Ansatz. Das wird bereits im eröffnenden Stück Behind the Stars deutlich, das zunächst fast ausschließlich vom Klavier getragen wird. Dieses ist ungewöhnlich weit im Raum platziert, tendenziell eher im hinteren Bereich, und behält diese Positionierung über weite Teile des Albums bei.
Im weiteren Verlauf kristallisiert sich eine grundlegende räumliche Anordnung des Trios heraus. Das Klavier befindet sich überwiegend in der hinteren Raumhälfte, der Kontrabass ist klar im vorderen Bereich verortet, während das Schlagzeug zwischen beiden Ebenen angesiedelt ist. Alle drei Instrumente nutzen die Höhenkanäle konsequent. Bass und Klavier entfalten dabei ein bemerkenswertes Volumen bis in die oberen Lautsprecherebenen, während das Schlagzeug den Raum nahezu vollständig ausfüllt und aus allen Richtungen – vorne, hinten, seitlich und von oben – wahrnehmbar ist.
Besonders auffällig ist der Umgang mit elektronisch verfremdeten Klängen und Effekten. Verzerrte Basssounds tauchen immer wieder auch im hinteren Raum auf, während verfremdete Klavierklänge punktuell von vorne oder aus den Höhen kommen. In Inner City, City Lights legen sich zusätzliche synthetische Flächen und chorartige Texturen wie ein schwebender Teppich knapp unter die Decke und erweitern das Klangbild deutlich über das akustische Trio hinaus.
Houston, the 5th verzichtet weitgehend auf klassische Instrumentalrollen und besteht nahezu ausschließlich aus abstrakten Klangereignissen, die im gesamten Raum verteilt sind. Hier erinnert die Anmutung stellenweise eher an experimentellen Krautrock der 1970er-Jahre als an eine Jazzaufnahme im engeren Sinn. Auch Bewegungen einzelner Sounds durch den Raum sind klar nachvollziehbar und sinnvoll in die Komposition eingebettet.
Insgesamt erweist sich der Dolby-Atmos-Mix von 301 als ausgesprochen gelungen und für ein Jazzalbum ungewöhnlich mutig. Die räumlichen Möglichkeiten des Formats werden nicht nur dekorativ genutzt, sondern sind integraler Bestandteil des musikalischen Ausdrucks. Umso bedauerlicher ist es, dass dies bisher der einzige Ausflug des Esbjörn Svensson Trio in Dolby Atmos ist. Gerade die zu Svenssons Lebzeiten veröffentlichten Alben hätten in einer vergleichbaren Umsetzung erhebliches klangliches Potenzial.
Anspieltipp:
Inner City City Light, Three Falling Free
Fazit:
Jazz geht auch immersiv!
WERTUNG DOLBY ATMOS MIX: 98 %
Streaming: Den Dolby Atmos Mix von 301 gibt es bei entsprechendem Abo bei Apple Music und Tidal zu hören. Bei Amazon konnte ich es nicht finden.
Stand: 20.12.2025
Links:
Offizielle Webseite von E.S.T.