
Steven Wilson – The Overview
Erscheinungsjahr 2025 | Blu-ray | Progressive Rock
Springen zu: Mix | Deluxe Edition | Albumstart | Bonusmaterial | Fazit | Verfügbarkeit | Steven Wilson Live
Von Mike W. K.
Ich bin ein Fan von diesen schönen Fotobüchern (sie werden meist Artbooks genannt), welche Steven Wilson und Porcupine Tree veröffentlicht haben. Bei INSURGENTES habe ich es leider verpasst bzw. nicht mitbekommen, und bei THE FUTURE BITES war das Konzept des Deluxe-Artworks ein anderes – es gefiel mir allerdings nicht.
Die Beschaffung von THE OVERVIEW musste wie schon beim Vorgänger THE HARMONY CODEX rasch geschehen und war nur in England über den Steven Wilson Store bzw. diesmal auch über Burning Shed (ein paar Pfund teurer) zu bestellen. Wie zu erwarten, war dieses Buch ruckzuck ausverkauft. Aber es gibt diese VÖ auch als einzelne Blu-ray – und auch noch zu einem echt guten Preis. Es gibt jedoch Unterschiede, die ich im weiteren Verlauf noch nenne.
Es sind wieder einige bekannte Mitwirkende dabei, wie u. a. Craig Blundell, Adam Holzman, Niko Tsonev (Get All You Deserve – live), Randy McStine (der Porcupine Tree bei der letzten Tour begleitet hat) und Theo Travis.
Dieses Album markiert durchaus eine Rückkehr zum Prog-Rock. Der Nachfolger von THE HARMONY CODEX ist ein ca. 42 Minuten langes Konzeptalbum. Es hat zum Thema den „Overview-Effekt“. Zitat aus Wikipedia dazu:
„Als Overview-Effekt wird das Phänomen beschrieben, das Raumfahrer erleben, wenn sie zum ersten Mal den Planeten Erde aus dem Weltall sehen. Der Begriff wurde geprägt durch das gleichnamige Buch von Frank White aus dem Jahr 1987. Der Overview-Effekt wird als Erfahrung beschrieben, die die Perspektive auf den Planeten Erde und die darauf lebende Menschheit verändert. Grundlegende Merkmale sind ein Gefühl der Ehrfurcht, ein tiefes Verstehen der Verbundenheit allen Lebens auf der Erde und ein neues Empfinden der Verantwortung für unsere Umwelt.“
Menschen nehmen diesen Effekt auch sehr unterschiedlich wahr. Es geht um den Weltraum und Unendlichkeit, und nicht von ungefähr ist die Länge des Albums auch „ungefähr“ bzw. fast 42 Minuten. Das kann kein Zufall sein. Denn 42 lautet die Antwort auf die Frage nach dem „Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest“, welche der Supercomputer Deep Thought den Menschen nach 7,5 Millionen Jahren antwortete (aus Per Anhalter durch die Galaxis – von Douglas Adams).
Die Idee zu diesem Album bekam Steven Wilson in einem Gespräch mit Alexander Milas, dem Gründer der Space Rocks Organisation. Das Album ist in zwei Teile unterteilt: 1. Objects Outlive Us und 2. The Overview. Es gibt weitere Unterteilungen, welche aber weder auf CD noch auf Blu-ray direkt anwählbar sind. Diese werden in der nachfolgenden Tracklist genannt, jedoch ohne Zeitangaben.
Tracklist und Mitwirkende:
1. Objects Outlive Us (Länge 23:17)
No Monkey’s Paw
The Buddha Of The Modern Age
Objects: Meanwhile
The Cicerones
Ark
Cosmic Sons Of Toil
No Ghost On The Moor
Heat Death Of The Universe
2. The Overview (Länge 18:21)
Perspective
A Beautiful Infinity I
Borrowed Atoms
A Beautiful Infinity II
Infinity Measured In Moments
Permanence
Gesamtdauer: 41:38
Einige Notizen von Auffälligkeiten oder besonders interessanten Effekten folgen mit ungefährer Angabe der Zeit wie nachfolgend:
OBJECTS OUTLIVE US:
Es geht gleich schon sehr räumlich zu und mit viel Dynamik, mit Lead-Vocals gerne im Center, aber nicht exklusiv, und Backing Vocals (es sind viele bei ca. 3:00) von überall. 4:14: Klavier ist vorne, das Schlagzeug ist etwas mittig, Snare und Bassdrum allerdings vorne, wo sie hingehören. Viele Effekte sind zusätzlich in den Surrounds verteilt. Bei 06:00 (…Galaxies…) öffnet sich der Mix wieder und wird sehr räumlich, was konkret zur unendlichen Weite des Weltraums passt. Bei ca. 8:00 ist der verzerrte Bass vorne, und Effekte umkreisen den Zuhörer. Es passiert ziemlich viel um einen herum. Es ist definitiv kein statischer Mix, sondern der Mix ist dauernd in Bewegung.
Bei ca. 11:00 sind akustische Gitarren hinten, die Sologitarre vorne. Bei 12:08 sind Vocals in den Surrounds dominant, aber es kommen nach und nach mehr Spuren dazu, die er überall verteilt hat. Im Zusammenspiel mit der heftiger werdenden Instrumentierung baut sich hier ordentlich Spannung auf, die sich ab ca. 14:22 wieder legt.
Im letzten Teil gefällt mir die spacige Weite von Stevens Vocals sehr gut, das relativ trockene Schlagzeug mit Delay / Echo auf der Snare ebenfalls. Das Gitarrensolo spielt hier ziemlich wahrscheinlich Randy McStine, der auch mit auf Tour gegangen ist und das Solo live sehr gut herübergebracht hat.
Anmerkungen zur Musik des ersten Teils:
Das Werk erinnert mich etwas an GRACE FOR DROWNING, nicht nur weil Theo Travis mit dem Saxophon wieder dabei ist, sondern auch wegen der Harmonien, die Wilson verwendet (bei 04:58 z. B.). Manches (z. B. bei ca. 15:15) erinnert mich konkret an Raider II oder auch an The Raven. Es ist eindeutig ein Album mit Steven Wilson DNA. Und das ist auch gut so. Der Part ab 16:25 (und zuvor auch bei 08:12) erinnert an Vermillioncore vom 4½-Album. Ab 17:10 leitet es in einen spacigen Sound über, wie Porcupine Tree ihn Anfang oder Mitte der 90er hatte, bis Wilsons Kopfstimme einsetzt. Der Sprechgesang ca. bei 18:40 ist eher in seinem letzten oder vorletzten Album erstmals in Erscheinung getreten. Aber es sind neue Sounds dabei, er entwickelt sich hier natürlich auch weiter.
Der zweite Teil mit The Overview hat viel weniger Anleihen vergangener Alben, vielleicht ist dieser stilistisch noch eher den beiden letzten Werken zuzuordnen – wenn überhaupt.
THE OVERVIEW:
The Overview startet mit Rauschen und digitalen Geräuschen, bis es mit einem modernen Kraftwerk-Synthisound (Tour de France) losgeht. Es ist der modernere Teil des gesamten Werks. Rotem Wilson spricht einen kurzen Text über die Dimensionen des Weltalls. Sie beschreibt Größen und Entfernungen, die sich nach und nach steigern. Die Musik ist modern-elektronisch – spacig, so kann ich sie beschreiben. Ich bekomme den Eindruck, wegzufliegen in die Unendlichkeit des Alls. Effekte wandern in den Surrounds und das E-Schlagzeug ist auch diskret verteilt, was hier gut passt – mit einem akustischen Set jedoch weniger, da es in seiner Gesamtheit auseinandergerissen würde.
Ab 28:13 setzt das Schlagzeug mit schönem Tiefbass ein. Die Musik wandelt sich zu einer Pop-Rock-Nummer. Wilsons Leadgesang ist hier im Center, Akustikgitarren im Surround. Backing Vocals sowieso. Bei ca. 34:15 liest Rotem Wilson erneut Dimensionen des Alls vor und die Musik ist wieder etwas spaciger – aber mit Schlagzeug. Ab 36:20 ungefähr beginnt ein neuer Teil mit einem schönen Synthisolo vorne, welches von weiteren Synthisounds sowie akustischen Gitarren in den hinteren Kanälen begleitet wird. Ca. 37:52: Rotem liest die letzten Dimensionen vor, und der Sound wird wieder modern, sehr diskret sind hier und da Instrumente verteilt (hinten rechts besonders auffällig). Es klingt ruhig mit einem spacigen Sopransaxophon-Solo aus, gespielt von Theo Travis.
Die Unterteilungen in die Unterkapitel werden nicht auf dem Bildschirm angezeigt – es bleibt bei den zwei Teilen mit entsprechendem Standbild, auch wenn die Trackliste im Booklet mehr Einträge hat.
Der Text ist im Booklet zum Nach- oder Mitlesen abgedruckt.
Generell ist auch in den oberen Kanälen viel los. Da ich eine AURO-3D-Lautsprecheranordnung habe, ist die Trennung von den unteren Kanälen aufgrund des Aufbaus nicht sehr hoch. Ich wollte einfach keine Löcher in die Decke bohren – das ist der Grund. Trotzdem wird durch die vier oberen Lautsprecher der Gesamteindruck dadurch viel räumlicher, wenn auch nicht unbedingt spektakulär in meinem Setup.
Wertung Musik: 85 %
Wertung Mix: 100%, einfach perfekt!
Wertung Sound: 100%, sehr ausgewogen, nichts nervt, sehr dynamisch und glasklar.
Besetzung:
1. Objects Outlive Us
Andy Partridge: Text bei Objects: Meanwhile
Randy McStine: Gitarren, Backing Vocals, Sound Design, Effekte
Steven Wilson: Acoustic Guitar,E lectric Guitar, Keyboards, Vocals, Acoustic Bass, E-Bass, Piano, Streicher (samples), Perkussion, Harmonium
Adam Holzman: Mellotron, Hammond Orgel, E-Piano, Synthesizer
Russell Holzman: Schlagzeug
Theo Travis: Flöte, Saxofon
Willow Beggs: Vocals
2. The Overview
Randy McStine: Gitarren, Ukulele, Backing Vocals, Sound Design, Synthesizer Solo
Steven Wilson: Sound Design, Acoustic Guitar, Electric Guitar, Keyboards, Vocals, Acoustic Bass, E-Bass, Piano, Celesta, Handclaps
Rotem Wilson: Stimme
Adam Holzman: Piano, E-Piano, Synthesizer
Craig Blundell: Schlagzeug
Theo Travis: Saxofon
Niko Tsonev: Gitarrensolo
Orchestral Objects (Bonus Track)
Primuz Chamber Orchestra: Das Orchester
Wojtek Lemański: Arrangement
Łukasz Błaszczyk: Dirigent
Dominika Sznajder-Janczewska , Agata Niewiadoma, Julia Loska, Izabela Ignatowska, Jędrzej Lemański: 1. Violinen
Andżelika Chorzempa, Daria Pacuda, Gabriela Graboń, Natalia Szymczyk: 2. Violinen
Magdalena Źurawska, Bartosz Paradowski, Martyna Susek: Viola
Jakub Lemańskim, Jakub Nowak, Miłosz Mirowski, Cello
Kamil Biadała: Kontrabass
Mateusz Muchewicz, Krzysztof Sztekmiler: Orchesteraufnahmen
Produktion:
Steven Wilson – 2.0, 5.1 und Atmos Mix
Artwork:
Ich habe das große, teure Fotobuch, es sind viele, abgefahrene Bilder drin. Hajo Müllers Kunst ist eindeutig wieder erkennbar, hat er ja schon bei einigen Werken von SW seinen Beitrag geleistet. Neu sind einige Doppelseiten zum Aufklappen. Bei einem Fotobuch werden die Panoramaseiten genannt. Es ist manchmal schwarz-weiß, meist farbig und sehr hochwertig.
Zu den Extras:
Wenn man es geschafft hat zu den Extras – Orchestral Objects – durchzunavigieren, wird man mit dem für mich persönlichen Highlight belohnt. Interessanterweise hat sich der Player immerhin Atmos gemerkt, was ich zum ersten Hören bereits mühevoll umgestellt hatte.
Orchestral Objects:
Der erste Teil des Werks – begleitet von einem polnischen Orchester! Das Orchester ist mehr hinten und hat dadurch genug Raum im Mix bekommen. Die Steigerung wäre nur noch, das live aufzuführen und zu filmen. Am besten in Plovdiv (Bulgarien), wo Anathema ihr fantastisches Universal Livealbum 2012 gefilmt und aufgenommen haben, in Begleitung des Plovdiv Philharmonic Orchestra. Leider gibt es diese Bluray nur in Stereo. Aber das ist ein anderes Thema.
Wertung Musik Orchestral Objects: 97%
Vorhandene Tonformate:
Dolby Atmos 7.1 TrueHD (48 kHz, 24bit)
DTSHD-MA 5.1 (96 kHz, 24bit)
PCM 2.0 (96 kHz, 24bit)
Es geht los mit zwei FBI Warnungen und dem Warner Logo. Anschließend befinden wir uns im Startmenu. Objecs Outlive Us startet in Stereo.
Runter – Runter – Enter – Runter – Runter – Close – Rauf – Rauf – Play.
Das ist großer Mist und dafür ziehe ich 3 Punkte ab!
Abwertung: –3%
Orchestral Objects in Atmos, 5.1 (nur die DeLuxe Edition soll dies haben) und in Stereo
Instrumentalmix des Albums in Atmos, 5.1 und Stereo
The Alterview in Stereo
Aufwertung: + 4%
Anspieltipp:
Orchestral Objects in Atmos, die es jedoch nur in der Deluxe Edition gibt, alternativ das Album komplett durchhören.
Robert und ich haben das diskutiert: Ohrwurmcharakter hat das Album nicht, es bleibt nämlich so einfach nichts hängen. Aber das liegt daran, dass wir es noch viel öfter hören müssen, und (naja) auch älter geworden sind. Da braucht es mittlerweile auch länger dafür! Ein komplexes Werk mit einem fantastischen Wilson-Mix auf dessen Live-Aufführung ich gespannt bin. Empfehlenswert!
GESAMTWERTUNG: 97 %
Erläuterungen zur Bewertung
Deluxe Edition: kostete Anfang Januar 2024 ca. 76€ + 14€ Versand, heute mehr als das Doppelte gebraucht.
Einzelne Bluray: ca. 18 Euro
Stand: 11.07.2025
Steven Wilson spielt live „The Overview“ und mehr
Am 30. Mai hatte ich die Gelegenheit, die aktuelle Steven Wilson Tour in Stuttgart anzusehen. Und der Sound war diesmal gut in der Porsche Arena (Stuttgart ist Auto-Stadt 😉 ), was ich vom Porcupine Tree Konzert im November 2022 in der gleichen Arena nicht unbedingt sagen konnte. Wie üblich fordert SW die Besucher auf, während des Konzerts nicht zu filmen oder zu fotografieren. Daran hielten sich auch nahezu alle und das war eine Wohltat!
Das Konzert hat auch Anteile in Surround gehabt, nicht permanent, sondern immer wieder einmal. Meistens Keyboard Sounds, Effekte oder auch backing vocals. Eine Bereicherung!
Hier noch die m.E. gewagte Setlist:
Teil 1: The Overview komplett
Objects Outlive Us
The Overview
-Pause-
Teil 2:
The Harmony Codex
King Ghost
Luminol
What Life Brings
Dislocated Day (Porcupine Tree)
Pariah
Impossible Tightrope
Harmony Korine
Vermillioncore
Zugaben:
Ancestral
The Raven That Refused to Sing (was sonst?!)
Anmerkung: Durchgehend wurde Teil 1 von einem Video begleitet, welches sich leider nicht auf der Blu-Ray befindet. Vermutlich war es noch nicht fertig. Allerdings würde ich mich darüber freuen, wenn es eine live VÖ von der Tour gäbe, welche auch das Video enthält.
Links:
Webseite von Steven Wilson
Hallo Mike, danke für die wieder sehr ausführliche Rezension. Bin über „Robert und ich haben das diskutiert: Ohrwurmcharakter hat das Album nicht, es bleibt nämlich so einfach nichts hängen.“ gestolpert. Seit Harmony Codex bin ich mir nicht sicher, ob ich die Musik noch „gut“ finde, oder ob ich nur dran bleibe, weil mir die Produktion der Scheiben gefällt. Grundsätzlich bin ich ein Freund von Stilwechseln (selbst The Future Bites hat tolle Momente), aber mit den letzten beiden Scheiben werde ich nicht warm. Mal sehen.
Bin schon auf deine Besprechung der letzten Dream Theater-Scheibe gespannt. Gruß und weiter so!
Hallo Heiko,
ich habe dieses Album mehr als 5x vollständig gehört. Und es wird mit jedem Hören interessanter. Es fordert eben die volle Aufmerksamkeit, habe ich festgestellt. Gib dem Album Zeit. Es lohnt sich.
Ja, stimmt, da war auch noch die letzte Dream Theater VÖ zu besprechen…
Gruß Mike