Genesis – We Can’t Dance


Erscheinungsjahr 1991 | SACD + DVD | Pop

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Bevor in den nächsten Wochen eine Reihe von aktuellen Veröffentlichungen von Musik in Surround Sound besprochen werden, soll es zunächst noch mal um einen Klassiker gehen. Es verwundert vielleicht zunächst, warum das Album WE CAN‘T DANCE von Genesis als Klassiker bezeichnet wird. Das vorletzte Studioalbum der Band und das letzte Album, bei dem Phil Collins beteiligt war, hat irgendwie immer noch die Aura des „aktuellsten Albums“ und doch feiert es die Tage seinen immerhin schon 30. Geburtstag. Schon verrückt, gefühlt kommt es mir so vor, als wäre der Hype um das Album erst 10 Jahre her.

Als WE CAN‘T DANCE im November 1991 erschien, war dies das erste Genesis Album seit dem 1986 erschienen INVISIBLE TOUCH. In der Zwischenzeit haben Tony Banks und Mike Rutherford je zwei Soloalben veröffentlicht, Phil Collins spielte die Hauptrolle im Film Buster und veröffentlichte anschließend sein erfolgreiches Album BUT SERIOUSLY. Nun meldeten sich plötzlich Genesis mit ihrer sieben Minuten langen Single No Son Of Mine wieder. Zu der Zeit war ich bereits etwa ein halbes Jahr Fan der Band und freute mich natürlich, dass es was Neues gab. Überrascht war ich allerdings, dass Genesis in den nächsten Monaten vor allem in Deutschland so stark präsent waren.

WE CAN‘T DANCE hielt sich insgesamt fast ein halbes Jahr auf Platz 1 der deutschen Album-Charts. Es hätte noch etwas mehr werden können, aber ich habe die CD damals in der Schule vermutlich 30-mal jemandem auf Kassette überspielt. Gefühlt fand sich das Album in jedem zweiten Haushalt. Den Erfolg befeuert haben dürften auch die witzigen Musikvideos zu I Can‘t Dance und Jesus, He Knows Me, die damals auf MTV rauf und runter gespielt wurden. Und auch heute noch, 30 Jahre später, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht einer der Songs aus dem Album im Format-Radio gespielt wird. Insgesamt verkaufte sich das Album über 20 Millionen Mal weltweit und gilt als erfolgreichstes Album der Band.

Als Genesis sich 2007 auf Reunion Tour befanden, wurden alle Alben neu abgemischt in Surround Sound auf SACD wiederveröffentlicht. WE CAN‘T DANCE wurde einzeln veröffentlicht (mit einer Bonus DVD) und innerhalb der roten Box, die die Alben zwischen 1983 – 1997 beinhaltet. Erstellt hat den Surroundmix wieder Nick Davis im Beisein von Tony Banks. Aktuell befinden sich Genesis wieder auf Reunion Tour. Wo bleiben jetzt die Wiederveröffentlichungen?

Genesis We Can't Dance SACD Surround Sound


Tracklist:

1 No Son of Mine – 6:41
2 Jesus He Knows Me – 4:23
3 Driving the Last Spike – 10:10
4 I Can’t Dance – 4:04
5 Never a Time – 3:52
6 Dreaming While You Sleep – 7:21
7 Tell Me Why – 5:00
8 Living Forever – 5:42
9 Hold on My Heart – 4:40
10 Way of the World – 5:40
11 Since I Lost You – 4:10
12 Fading Lights – 10:16

Gesamtdauer: 71:30


Die Musik:

Im Vergleich zu dem sehr poppigen INVISIBLE TOUCH, welches den typischen Mit-80er-Jahre Sound mit Keyboards, Synth-Bass und E-Drums hat, klingt WE CAN‘T DANCE um einiges organischer und erdiger. Es klingt wieder mehr nach echten Instrumenten. Der Albumtitel ist eine ironische Entschuldigung für die vorhandene Musik auf dem Tonträger. Zu der Zeit beherrschte Dance-Music die Charts und das, was Genesis da bot, war etwas, wonach man beim besten Willen nicht tanzen konnte (wenn auch I Can‘t Dance damals dennoch in den Discos gespielt wurde und die Leute entsprechend dazu tanzten).

Der Erfolg des Albums dürfte daher auch etwas damit zu tun haben, dass sich die Musik von der restlichen Chartmusik abgrenzte, wobei dies kein Alleinstellungsmerkmal von Genesis war. Anfang der 90er waren die Charts überaus farbenfroh, es gab Nirvana, R.E.M., Marc Cohn, Tom Petty, Dire Straits, Massive Attack, Snap, De La Soul und so weiter. Alles Welten von dem heutigen Einheitsbrei entfernt.

Zurück zu WE CAN‘T DANCE. Das erste Mal seit THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY von 1974 haben Genesis wieder ein Doppelalbum aufgenommen. Während THE LAMB noch ein Konzept-Album war, sind die Songs auf DANCE alle eigenständig und behandeln oftmals gesellschaftskritische Themen wie Fernsehprediger, Umweltschutz, Schönheitswahn, Fahrerflucht und Armut. Die Singles wurden seitdem so oft im Radio totgedudelt, dass man sie heute immer noch nicht wieder anhören kann. Rein nüchtern betrachtet erkennt man aber auch in No Son Of Mine und I Can‘t Dance die Progwurzeln der Band. Ersteres hat die Dramatik und den für Genesis typischen Spannungsaufbau. Zu I Can‘t Dance kann man stehen wie man will, aber nur eine Prog-Band würde einen simplen Blues so arrangieren, wie es Genesis mit I Can‘t Dance gemacht haben. Ein Blues-Song mit elektronisch, synthetischen Sounds? So etwas macht man doch nicht! Doch, genau so etwas machten Prog-Bands auch schon in den 70ern, in dem sie verschiedene Stile mixten. Skurille 4 Minuten Songs, wo man nicht wusste, was man davon halten soll, machten Genesis in den 70ern auch schon (Here Comes the Supernatural Anesthetist, Harold The Barrel) und andere wie ELP auch (Are You Ready, Eddy). Gab es seit 1991 eigentlich wieder einen Blues-Hit in den Charts, oder war I Can‘t Dance der Letzte?

Als das Album 1991 erschien, war ich begeistert, allerdings kannte ich damals das meiste von Genesis noch nicht. Heutzutage gehört es zu den Alben, die ich von der Band am seltensten höre. Dies liegt aber nicht daran, dass mir die Musik nicht mehr gefällt. Ich finde, das Album hat ein paar sehr gute Stücke, aber auch einige Lückenfüller. Eine normale Albumlänge von etwa 45-50 Minuten wäre viel besser gewesen. Die vier ersten Singles, die beiden langen progressiven Stücke und Dreaming While You Sleep und man hätte das beste Genesis-Album seit DUKE.

Wertung: 76 %


Besetzung:

Tony Banks – keyboards
Phil Collins – drums, vocals
Mike Rutherford – basses, guitars


Der Surroundmix:

Der 5.1-Mix von WE CAN‘T DANCE war mir, da ich das Album ja eher selten höre, nicht mehr so geläufig. Umso überraschter war ich jetzt, dass er doch richtig gut ist. Grundsätzlich vertrat ich bisher die Meinung, dass die älteren Alben aus der grünen Box (die Gabriel-Jahre) um einiges diskreter klingen als die poppigen Jahre der roten Box. Dies ist zumindest bei WE CAN‘T DANCE nicht der Fall.

Was auffällt, ist, dass der Mix des Albums um einiges offensiver klingt, als andere Genesis-Alben in Surround. Das Schlagzeug und der Bass, also das Grundfundament, sind viel weiter in die Raummitte geschoben und kleben nicht an der Position der Frontlautsprecher. Im Fußball würde man sagen, die Abwehrreihe ist weit vorgerückt. Dadurch klingt das Ganze schon mal um einiges druckvoller. In den Rears finden sich häufig Keyboards und Gitarren, aber auch seitlich vom Hörer findet eine Menge statt. Es fällt auf, dass sich Genesis mit dem Album viel Zeit gelassen haben, sodass man in den Rears häufiger dezente Effektsounds ausmachen kann, die zumeist aus den Keyboards von Tony Banks kommen. Auch schwirren mal Sounds hinterm Hörer von links nach rechts wie bei Way Of The World.

Mike Rutherford hat auf dem Album ebenfalls mehr zu tun als auf dem Vorgänger. Die Ballade Never A Time entpuppt sich in Surround als ziemlich gitarrenlastig. Mindestens drei verschiedene Gitarrensounds kann man hier ausmachen, unter anderem eine akustische. Dabei war ich der Meinung, dass Rutherford nach DUKE erst wieder beim Mechanics-Hit Over My Shoulder Mitte der 90er zur akustischen gegriffen hat.

Absolutes Highlight in 5.1 ist Dreaming While You Sleep. Das Stück gehört für mich zu den besten in Surround Sound abgemischten Songs, bei dem gerade in den Rears eine Menge Betrieb herrscht, angefangen bei Sounds des Drumcomputers, den Xylophon-artigen Keyboard-Arpeggios, weiteren Keyboards und Effektsounds, dazu Rutherfords Gitarre, die durch den Raum schwebt. Es entsteht dadurch eine unfassbar dichte, ja fast klaustrophobische Atmosphäre um den Hörer herum.

Ebenfalls punkten kann Fading Lights. Es ist vielleicht nicht der diskreteste Song in der Abmischung, da doch recht sparsam instrumentiert. Jedoch besticht das Stück ebenfalls durch eine dichte und druckvolle Atmosphäre, vor allem im Instrumentalteil. Und wenn man genau hinhört, erkennt man, dass der Gesang sich langsam vom Hörer entfernt. Er beginnt relativ zentral in der Raummitte und entfernt sich mit jeder Strophe dezent in Richtung des Center-Lautsprechers, was für einen „Abschiedssong“ eine geniale Möglichkeit darstellt, den Songinhalt auf den Mix zu übertragen. Ich ziehe meinen Hut!

Doch leider gibt es einen Song, der die Gesamtwertung des Mixes extrem ins Negative beeinflusst. Gemeint ist hier das vorletzte Stück Since I Lost You. Es ist generell keine Sternstunde im Songwriting von Genesis, doch irgendwie haben es Nick Davis und Tony Banks geschafft, diesen Song kaputtzumischen. Was haben sie gemacht? Vom Grundcharakter erinnert das Stück in seinem Arrangement ein wenig an Soul-Songs aus den 60ern. Entsprechend haben sie den Song dann auch in 5.1 gemischt. Links scheppert das Schlagzeug, rechts singt Phil Collins (vermutlich der einzige Genesis Song in 5.1, dessen Lead Vocals nicht aus dem Center kommen). Keyboards und Gitarre ergeben einen Einheitsbrei, dass es wie eine Monoaufnahme klingt. Es klingt fürchterlich, wie schlechte Quadrophonie. Auch die Stereofassung hat hier das Schlagzeug links und den Gesang rechts. Das ist mir in 30 Jahren gar nicht mal so aufgefallen ist, dass man es hier mit diesem 60er-Jahre Stereo-Mix-Stil zu tun hat, da das in Stereo viel dezenter ist.

Wertung: 94 %


Vorhandene Tonformate:
SACD DSD 5.1
SACD DSD 2.0
CD Audio
DTS 5.1  (96 kHz / 24 bit)
Dolby Digital 5.1

Album starten:

Die SACD lässt sich (sofern man ein SACD kompatibles Gerät hat und dieses so eingestellt hat) automatisch mit dem 5.1 Mix starten. Wer keinen SACD Player sein eigen nennt, kann den Surround-Mix auch von der DVD hören, der da in Dolly Digital und DTS 96/24 vorliegt. Großer Pluspunkt: Das Menü ist so konzipiert, dass man lediglich zweimal Enter drücken muss, um das Album in DTS hören zu können.

 


Bonusmaterial:

Neben den gut gemachten Musikvideos gibt es wieder das obligatorische Interview mit der Band, welches dieses Mal mit knapp 15 Minuten sehr kurz ausfällt. Da hätte man annehmen können, dass sie für ein Doppelalbum mehr zu sagen hätten. Interessant ist die Doku „No Admittance“ mit einer Dauer von 45 Minuten. Sie zeigt die Band bei den Aufnahmen zum Album und wie sie die einzelnen Songs entwickelt. Unter anderem hört man sie kurz an einem Reggae-Stück proben, was sich als Urform von Jesus, He Knows Me entpuppt. Der Reggae schaffte es letztendlich nur in die Bridge.

Aufwertung: +2 %


Anspieltipp:

Dreaming While You Sleep


Fazit:

Bis auf eine Ausnahme ein grandioser Surround Mix.

Pros / Cons:
+ sehr guter Surroundmix
+ High Resolution (+ 1%)
+ Album lässt sich blind starten
+ Bonusmaterial auf der DVD (+ 2%)
– Ein Einzelalbum wäre die bessere Wahl gewesen, es sind zu viele Lückenfüller vorhanden
– Since I Lost You trübt den Gesamteindruck des Surround-Mixes

 

 

GESAMTWERTUNG: 92 %

Erläuterungen zur Bewertung

Verfügbarkeit:

SACD / DVD: Der 2007 erschienene 5.1 Mix ist out of Print und nur noch für Preise jenseits von ca. 200 Euro (gebraucht!) zu bekommen. Die rote Box mit allen Alben von 1983-1998 kostet gar 500 € und mehr (statt der damaligen 100 €).

Stand: 14.11.2021

 


Links:

It – Genesis Fanclub

 

6 Replies to “Genesis – We Can’t Dance”

  1. Heute würde man dazu nicht mehr Doppelalbum sagen, im Jahr 1991 aber schon noch. In Interviews sprachen damals auch Genesis von einem Doppelalbum. Anfang der 90er wurde alles noch auf LP und CD veröffentlicht, die meisten Alben hatten immer noch die typische LP-Länge von ca. 45 Minuten. We Can’t Dance dauert über 70, daher wurde es auf zwei LPs veröffentlicht. Sicherlich hatte man damals schon die verlängerte Spielzeit der CD im Blick. Ich glaube Mike Rutherford wars, der damals gesagt hatte, sie hätten ein Doppelalbum gemacht, weil die CD mittlerweile „das Normale“ wäre und da eben mehr draufpasst. Es gibt übrigens viele Alben, die in Vinylzeiten als Doppel-LP veröffentlicht wurden, später aber auf nur einer CD herausgebracht wurden. Beispiele: Blonde on Blonde, Tusk, Out Of The Blue und so ziemlich alle Doppelalben von Chicago. Andere Alben sind auch heute noch Doppelalben, weil beide LPs nicht auf eine CD passen, wie z.B. The Wall. Dieses dauert knapp über 80 Minuten und damit ist es zu lang.

  2. Danke für die Erklärung. Ich habe „WCD“ nie als Doppelalbum wahrgenommen. Eventuell auch, weil ich mich relativ schnell von der LP getrennt habe. Eben mal nachgeschaut: 1991 war das letzte Jahr, wo die LP noch 2stellige Absatzzahlen hatte. Der Umsatz hatte sich schon von 1990 auf 1991 nahezu halbiert. Danach ist die LP nur mickrig daher gedümpelt. Seit 2012 geht der Umsatz wieder beschaulich nach oben. Dennoch kein Vergleich zu damals.
    Da aber auch schon 1991 (für damalige Verhältnisse) schwache 23,8 Mio. LPs verkauft wurden, aber 104,2 Mio. CDs, dürften die Künstler nicht mehr in A und B-Seiten gedacht haben. Wenn eine Aufspaltung Laufzeitbedingt nötig ist, macht es für mich kein Doppelalbum aus. Besonders im Progbereich wird das ja oftmals auf Grund der langen Lieder zwangsläufig zur „Umdreh- und Auflegorgie bei vielen Alben.

  3. Vielen Dank für Deine Arbeit. Du machst (vermutlich nicht nur) im deutschsprachigen Bereich eine Pionier-Arbeit in Sachen Surround! Sehr kompetent und inhaltsschwer. Darüber hinaus auch noch weitgehend deckungsgleich mit meinen Einschätzungen, obwohl ich nur eine Surround-Blechtonne (JPL-Soundbar) habe.

    Ich besorge mir zwar sowieso alles (außerhalb von Klassik und Jazz) was Surround anbietet, aber Deine Expertise nachzulesen macht fast so viel Freude, wie das Zeug zu hören.

    Auf jeden Fall wollte ich mich schon ewig bei Dir bedanken und nehme meine aktuell laufende Scheibe dafür zum Anlass.

    Alles Gute und; weitermachen.

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